War der Ausdruck „Functional Fitness“ für die breite Masse der Bevölkerung vor einigen Jahren noch ein Buch mit sieben Siegeln, so kann davon heutzutage keine Rede mehr sein. Jeder kennt mittlerweile Szenen aus der Werbung in denen Fitnessbegeisterte mit Kreide eingeriebenen Händen Kettlebells, „Wilde Seile“ oder Traktorreifen zu ekstatischer elektronischer Musik bewegen. Es ist offensichtlich, dass sich Functional Fitness in den vergangenen Jahren von einer bloßen Form der körperlichen Ertüchtigung zu einem Lifestyle entwickelt hat. Durch ein Image von Power verbunden mit unkonventionellen Übungselementen hebt es sich deutlich von anderen bisherigen Fitness-Konzepten ab. Auch Hersteller außerhalb von Sport und Fitness nutzen für Werbezwecke Bilder assoziert mit Functional Fitness um ihren Produkten und Service-Angeboten einen dynamisch-attraktiven Anstrich zu verleihen.
(Für die breite Masse der Bevölkerung steht Bodybuilding im Übrigen immer noch synonym für Kraftsport jeglicher Art. Dass sich Hanteltraining nicht nur zum Erreichen körperlich ästhetischer Ziel nutzen lässt, sondern auch ein sehr gutes Mittel für die genannten Ziele der „Kardio“-Praktizierenden darstellt, ist nicht bekannt. Ebenso ist nicht verbreitet, dass es einen erheblichen Unterschied zwischen Krafttraining und Kraftsport gibt)
Wie Functional Fitness populär wurde
Functional Fitness trat vor 20 Jahren zum ersten Mal auf kleinerer Bühne in Erscheinung und entstand zu dieser Zeit als eine Art Gegenbewegung zu den damaligen weitverbreiteten, Bodybuilding- bzw. „Kardio“- orientierten Ansätzen zur körperlichen Ertüchtigung. Bis zum Aufkommen des funktionalen Trainingsansatzes blieb Fitness-Enthusiasten, die sich ihre Wünsche nach einer besseren Figur, Fitness und Gesundheit erfüllen wollten - aufgrund der beschränkten Auswahl an Konzepten für Muskelaufbau, Fettreduktion und Herz-Kreislauftraining - nichts anderes übrig, als sich an einem dieser beiden Trends zu orientieren. Während Kardio-Training sich ein eher positives bzw. neutrales Image bewahren konnte, so war dies bei Krafttraining nicht der Fall. Letzteres bekam aufgrund des Klischee-Bildes des steifen Bodybuilders bzw. „Disco-Pumpers“, denen es vermeintlich nur um die Anhäufung unfunktionaler Muskelberge zur rein optischen Darstellung ging, irgendwann einen eher schlechten Ruf: Krafttraining müsste zur Ausbildung allgemeiner Fitness und Gesundheit eher kontraproduktiv sein. Hinzu kam die Sorge - vor allem bei Frauen - durch ein entsprechendes Training zum Muskelaufbau am Ende wie die kleine Schwester von Arnold Schwarzenegger auszusehen.
Die Vermarktung von Functional Fitness ab Anfang der 2000er Jahre mit dem Image eines holistischen Fitness-Ansatzes weckte bei vielen Menschen das Interesse für diesen neuen Trend. Personen, die sich bislang zu Aktivitäten wie z.B. Joggen, Yoga und Pilates hingezogen fühlten, sahen darin eine Alternative zu der damaligen beschränkten Auswahl zur Ausbildung von körperlicher Kraft und Fitness. Die Assoziation mit dem Image des „stupiden“ Kraftsportlers und der damit einhergehenden belächelten Ausübung einer solchen körperlichen Aktivität fiel nun weg. Seither befindet sich Functional Fitness in zahlreichen Variationen und unter unterschiedlichen Brandings auf Erfolgskurs.
Die Vor- und Nachteile von Functional Fitness
Die Einführung von Krafttraining mit Übungen aus eher natürlichen Bewegungen gegenüber der beschriebenen, damaligen bescheidenen Trainingsauswahl scheint auch eine gewisse logische Reaktion zu sein. Zur Klärung, ob die Philosophie hinter Functional Fitness allerdings als ein hierzu berechtigter Lösungsansatz gelten kann, sollen folgende Fragen als Ausgangspunkt dienen:
1. Wann ist eine Bewegung überhaupt funktional?
2. Sind alle Bewegungen, zu denen der menschliche Körper in der Lage sein kann per se funktional?
3. Gibt es Bewegungen, welche für die eine Aktivität funktional, für eine andere dagegen disfunktional sein können?
4. Bestimmt nicht eher die entsprechende Aktivität, welche Bewegungen für diese als funktional gelten und welche Ersatzübungen stellvertretend für diese verwendet werden können?
Die weit verbreitete Annahme:
Isoliertes Training einzelner Muskeln
=> unnatürliche Bewegungsmuster => Ausbildung dysfunktionaler, „unbrauchbarer“ Muskulatur
Functional Fitness
=> zusammenhängende Muskelketten => Übungen mit natürlichen Bewegungen
Um auf die gestellten Fragen Antworten geben zu können, bedarf es des Verständnisses zum Unterschied zwischen allgemeiner und spezifischer muskulärer Kraft. Erstere kann mit jeder Trainingsform erreicht werden, welche das primäre Ziel hat, diese zu stärken. Das Ausbilden von spezifischer Kraft geschieht durch Anwendung allgemeiner muskulärer Kraft durch gezieltes Üben der entsprechenden körperlichen Aktivitäten, sei es z.B. Fußball, Radsport oder auch auch Boxen. Nur in dem besonderen Setting bzw. den Umständen, welche die Ausführung einer körperliche Aktivität mit sich bringt, macht ein Training der jeweilig notwendigen Fähigkeiten (Skills) Sinn. Skill-Training kann als hochpräzise feinmotorische körperliche Schulung betrachtet werden, bei der die richtige Dosierung muskulärer Kraft erlernt wird. Es steht außer Frage, dass muskuläre Kraft auch durch die Kombination von Krafttraining mit sportartspezifischen Bewegungen erreicht werden kann. Allerdings ist dies vor allem bei untrainierten bzw. für jene Personen der Fall, welche noch nicht ihr volles genetisches muskuläres Potential erreicht haben.
Dies scheint im Widerspruch zu der offensichtlichen weiten Verbreitung des Vermischens von Kraft- und Skilltraining zu stehen, mit denen viele Weltklasse-Athleten dennoch zu beeindruckenden sportlichen Erfolgen gelangen.
Zu erklären ist dieses Phänomen durch die für die jeweilige Sportart vorteilhaften individuellen physiologischen Voraussetzungen der Athleten als weniger durch die Verwendung bestimmter Trainingsprinzipien aus dem Functional Fitness.
Einer der wesentlichen Vorteile von Functional Fitness ist ohne Frage das Element „Spaß“. Durch die riesige Auswahl an Übungen bzw. Tools (Kettlebells, Clubbells, Battle-Ropes, Sandbags, unterschiedliche Zeitprotokolle, Outdoor oder Indoor-Training) und vor allem durch den sehr locker gehaltenen Trainingskontext, welcher auch viel Spielraum für körperlichen Ausdruck (Sport zu Musik) bietet, kann jede Trainingseinheit zu einem kleinen Abenteuer werden. Für viele Menschen ein durchaus gelungener körperlicher Ausgleich zum beruflichen Alltag. Nachvollziehbar daher auch, warum Praktizierende durch Gruppen-Training und dem damit einhergehenden Teamgeist bzw. durch das wetteifernde Element sich mit dieser Trainingsform eher motiviert fühlen, körperlich aktiv sein zu wollen als mit anderen Trainingskonzepten. Mit diesem dynamischen Training in der Gruppe geht allerdings auch ein unnötig hohes Risiko für Verletzungen und vor allem körperlichen Verschleiß einher. Die vor allem gegen Ende einer Einheit aufgrund von eingetretener Ermüdung unkoordinierten Bewegungen machen ein derartiges Training oft auch äußerst riskant. Zerrungen und Verstauchungen, Überlastungen an Wirbelsäule sowie Schulterprobleme sind oft unmittelbar oder verzögert eine Begleiterscheinung.
Wer „funktionale“ Muskulatur aufbauen möchte, kann die Strategien des Functional Fitness verwenden: Wichtig dabei ist zu verstehen, dass ein Übertrag für irgendeine andere Bewegung des Alltags bzw. Sportart aus den oben beschriebenen Gründen nicht unbedingt erwartet werden darf. Welchen Übertrag kann z.B. eine populäre Übung wie der Langhantel-Kniebeuge auf einem Bosuball oder das Schwingen eines wilden Seils für irgendeine andere Aktivität bringen als für diese selber?
Bei der Entscheidung für Functional Fitness darf das Einbeziehen der persönlichen Ziele nicht aus den Augen verloren werden. Verständlicher Weise sind diese für jede Person unterschiedlich. Wer primär auf Gesundheit und Fitness abzielt, sollte verstehen, dass er dies nicht nur für die aktuelle Lebensphase tut, sondern auch für spätere Lebensphasen. Nachhaltige Ziele sollten ab einem gewissen Lebensalter eher priorisiert werden als temporäre Ziele (z.B. Spaß), vor allem wenn dies mit gesundheitlichen Einbußen für spätere Lebensphasen einhergeht.
Der vorausschauende Blick in Sachen Fitness im Alter und vor allem der Erhalt gesunder Gelenke sollte auch ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl der jeweiligen Trainingsmethode sein.
Ebenso sollte der Faktor Zeit bei der Trainingsgestaltung nicht außer acht gelassen werden. Die Sinnhaftigkeit eines Trainingskonzeptes sollte auch in seiner Effizienz wiederzufinden zu sein. Wieso länger trainieren als es zur optimalen Entwicklung muskulärer Kraft bzw. Fitness absolut notwendig ist? Diese Frage sollte zumindest für Menschen von Interesse sein, die ihre Lebenszeit schätzen.
Ein sicher gestaltetes Krafttraining wie es die Prinzipien des High Intensity Training bieten, ist daher für Menschen jeden Lebensabschnitts, für Freizeitsportler als auch Leistungssportler sehr zu empfehlen.